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Was ist eine Kohlfahrt?

Eine Kohlfahrt ist ein gemeinsamer Ausflug auf das Land, zu dem ein zünftiges Kohlessen und einige lustige "Spiele" gehören. Früher, so würde mancher Chauvinist sagen, als die Welt noch in Ordnung war, nahmen an den Kohlfahrten ausschließlich Männer teil. Anfangs konnten sich diesen Luxus allerdings nur gut betuchte Kaufleute leisten. Nichts ging für wohlhabende Bürger über die Lust. Aus gutem Grunde hat man diese kulturhistorische Tradition bis heute nicht vergessen, sie sogar intensivst gepflegt. Aus dem Pferdegespann ist im Laufe der Jahre ein Bollerwagen geworden, bei dem es sich nicht (!!!), wie irrtümlicherweise oft angenommen wird, um einen Eselskarren handelt, sondern um eines der unverzichtbaren Kohlfahrtutensilien. Hierauf werden die schweren "Sachen" transportiert, ihn ziehen zu dürfen ist eine überaus große Ehre.

Dass sich die Tradition so lange gehalten hat, hat wohl damit zu tun, dass Kohl eigentlich erst dann so richtig glücklich macht, wenn er in unglaublichen Mengen verzehrt wird. Große Mengen fetten Kohls verlangen aber nach großem Hunger. Ein langer Marsch, ein ordentlicher Schluck aus der Schnapsbuddel, ein paar sportliche Einlagen - und siehe da, der Hunger übermannt einen ganz von selbst. Insbesondere der Kälte kommt dabei zentrale Bedeutung zu. Ist es draußen warm, schmeckt der Kohl nur halb so gut.

Die Pilger einer Kohlfahrt haben nicht den geringsten Schimmer, wohin ihre Reise geht. Nur der amtierende Kohlkönig kennt das Ziel. Um seine Untertanen nicht in unnötiger Sicherheit zu wiegen, steuert er das Ziel der Reise allerdings nicht auf direktem Wege an. Durch gezieltes Einsteigen in "falsche" Straßenbahnen und Züge führt er die Seinen absichtlich in die Irre, bis er sie nach stundenlanger Irrfahrt an den Fressnapf führt. Denn der ist das eigentliche, das höchste Ziel aller Kohlfahrer.

Die Kohlfahrtzeit richtet sich ganz nach seinem Namenspatron, dem Grünkohl. Dieser schmeckt, wie bereits erwähnt, am besten, wenn er "Frost gehabt" hat. Hieraus ergibt sich, dass nach dem ersten Frost, meistens im November, die Saison losgeht. Im Dezember sind Kohlfahrten aufgrund der Fülle von anderen Veranstaltungen eher selten. Die Hauptzeit ist von Januar bis Ende Februar/Anfang März. Traditionell beendet ist die Saison am Gründonnerstag, der wahrscheinlich daher seinen Namen bekommen hat.

Kohlfahrten sind eine regionale Eigenheit des oldenburgisch- ostfriesischen und bremischen Raums. Die Südoldenburger, obgleich sie zum Oldenburgischen gehören, essen zwar auch liebend gern Grünkohl, kennen diese Sitte aber allenfalls als merkwürdigen Ritus eines benachbarten Volksstammes. Über Gründe hierfür gibt es nur Spekulationen... Im Laufe der Jahre entwickelten sich aus dem "Kohlfahren" überaus populäre Prozessionen, zu denen sich im Laufe der Zeit regionale und auch lokale Eigenheiten unterschiedlicher Art gesellten.

Auf den Fremden mögen Kohlfahrer einen seltsamen Eindruck machen - und die meisten in Deutschland sind Fremde, was diese Sitte angeht. Die Kohlfahrt ist Brauch, so skurril wie rituell, dass sich im Jahr 1985 der Volkskundler Martin Westphal an die Arbeit machte, ihn mit der sozialwissenschaftlichen Methode der "teilnehmenden Beobachtung" gründlich zu studieren. An drei Kohlfahrten nahm er teil. Herausgekommen ist 1988 eine umfangreiche Doktorarbeit.

Dadurch, dass gerade in den letzen Jahren vereinzelt Kohlfahrten auch außerhalb der eben genannten Grenzen veranstaltet werden, haben unsere norddeutschen Kulturbotschafter, als Veranstalter, der Grünkohlkultur auch international zu höchstem Ansehen verholfen

 

Grünkohlessen

 

Das Grünkohlessen ist ein alter Brauch in Norddeutschland und Teilen Skandinaviens, der vor allem in Bremen und Umgebung, im Oldenburger Land, Emsland und Ostfriesland, Verden an der Aller, Rotenburg (Wümme), aber auch in Hamburg, in der Seestadt Bremerhaven nebst Altkreis Wesermünde und Hadeln sowie in der Umgebung von Braunschweig und in ganz Schleswig-Holstein gepflegt wird. Darüber hinaus wird der Brauch auch im Münsterland gepflegt.

Grünkohl (regional auch Braunkohl) wird nach dem ersten Herbstfrost geerntet. Die Teilnehmer an einer "Kohlfahrt" veranstalten einen Ausflug durch die Natur zu einem Dorfgasthof, meist im tiefen Winter. Oft wird der Ausflug mit Spielen (z. B. Boßeln) verbunden. Zur Abwehr des Frostwetters und zur Vorbereitung auf das deftige Essen werden in einem Handwagen (Bollerwagen) ausreichend alkoholische Getränke (z. B. Korn) mitgenommen, die anlässlich der Spiele oder sonstiger Unterbrechungen der Wanderung (z. B. Wegkreuzungen oder Masten) ausgeschenkt werden. Im Dorfgasthof wird der angeheiterten Gesellschaft dann Grünkohl mit Kartoffeln und Kasseler, Bregenwurst, Pinkelwurst oder Kohlwurst serviert. Dazu gibt es üblicherweise viel zu trinken (Bier, Korn). In manchen Gegenden findet nach dem Essen Musik und Tanz statt.

 

Das Grünkohlessen findet seinen Höhepunkt in der Ausrufung des Kohlkönigs oder des Kohlkönigspaars. Für die Vergabe der Königswürde werden verschiedene Methoden angewandt. Entweder werden die Anzahl der Portionen jedes Teilnehmers ausgewertet, es wird das Gewicht der Teilnehmer vor und nach dem Essen bestimmt oder es werden die Ergebnisse der Spiele auf der Wanderschaft nach geheimen Kriterien ausgewertet. Kohlkönig wird vereinzelt auch derjenige, der als letztes den Tisch verlässt. Dies schließt Toiletten- oder Tanzpausen demnach aus. Als sichtbares Zeichen der Königswürde werden Ketten mit der Geschichte der Kohlkönige dieser Gesellschaft oder ein Schweinekieferknochen am Band mit einer entsprechenden Inschrift verliehen. Der König bzw. das Königspaar erhält die Verpflichtung, das Grünkohlessen des nächsten Jahres zu organisieren.

 

Pinkel

Pinkel ist die typische Grünkohlwurst! Es gibt kein anderes Gericht, in dem diese Wurst zu finden ist. Sie ist quasi nur für den Kohl erfunden worden. Schlecht erklären können aber die meisten Oldenburger, warum sie ausgerechnet "Pinkel" zum Grünkohl essen müssen. Und wer sich schlau machen will, wird dabei allzu leicht in die Irre geführt:

"Pinkel bezeichnet einen speziellen Schweinedarm-Abschnitt", heißt es zum Beispiel oder: "Pinkel bedeutet Speck." Unter älteren Norddeutschen hält sich dagegen zäh die Überzeugung, früher hätten die Bauern die fetten Würste unterm Dachbalken hängend gelagert. Während der Reifezeit sei das Fett auf den Boden getropft, die Würste hätten "gepinkelt".

Doch als der Name "Pinkel" bereits verbreitet war, bedeutete Pinkeln im Bremer Raum etwas ganz anderes als Wasser lassen. Unter "in pinkeln" ("einpinkeln") verzeichnet ein bremisches Mundartwörterbuch von 1768 ein "Pöbelwort" für "den Bauch mit Speise füllen", "alles in sich hineinessen." Die Pinkelwurst indes, heißt es dort, habe ihren Namen vom fetten Mastdarm des Rindes, den man Pinkel nannte. Die Pinkelwurst wird - einst wie heute - gefüllt mit Hafergrütze, Zwiebeln, Speck und Nierenfett. Salz, Pfeffer, Nelken und Piment geben ihr zudem Geschmack

 

Trinken

Beim Gröönkohl Äten wird nicht nur gegessen, dass die Schwarte kracht, sondern nach altem Brauch fließt auch kühler Korn in Strömen. Dabei "snackt" man natürlich "Ollnborger Platt“. Denn das Trinken muss nach altem Ritual geschehen, und dazu gehört neben dem Zinnlöffel, der das Glas ersetzt, auch folgender plattdeutscher Dialog: 
Ich seh di!
Dat freit mi!
Ick sup di to!
Dat do!

(beide trinken, wobei sie "Prost" rufen und gut Acht geben, dass sie auch den letzten Tropfen vom Löffel schlecken)
Ick heb di tosopen!
Hest'n Rechten dropen!

(nun legen beide den Löffel mit offener Seite nach unten vor sich auf den Tisch. Unter wessen Löffel sich nach einigen Minuten auch nur der kleinste nasse Fleck findet, der muss die nächste Runde ausgeben.) Um den Schnaps ins Spiel zu bringen, gibt es noch zahllose Varianten. Die einen Kohlfahrer halten an jedem Gullydeckel an, und gießen einen Schluck Hochprozentiges in den Eierbecher.

Verbreitet ist auch die Sitte, einen Schaumstoffwürfel mitzuführen, der - etwa an jeder Häuserecke - gewürfelt wird. Bei jeder Sechs macht der Korn - oder in jüngster Zeit immer öfter: der rote Genever - die Runde. Zu den Trink-Zeremoniellen mancher Reisenden in Sachen Kohl gehört auch der gefürchtete Saufbalken. Auf einem langen Brett sind so viele Eierbecher montiert, wie Teilnehmer mitwirken. Auf Anweisung des Kohlkönigs werden die Gefäße mit Schnaps gefüllt. Die Reisenden stellen sich in einer Reihe entlang dem Balken auf, und kippen den Schnaps gleichzeitig runter.